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Fazit unserer Exkursion nach Rotterdam: Unsere Habitus-Übung hat funktioniert. Das Band um den Hals und der Laptop auf dem Schoß, das Schreiben, das Sprechen, das selbstverständliche, mittlerweile routinierte Betreten des Saals, die Nähe zu den Wettbewerbsteilnehmern im Shuttle-Car und an der Bar. Ohne, dass wir uns innerlich verändert haben, nur durch die Architektur, die äußeren Attribute und die Bewegungen, werden wir zu „Expertinnen“, zu legitimen Teilnehmern des Betriebes. Gespräche entstehen von ganz alleine. Während des Rotterdamer Filmfestivals hatten wir so auch die Möglichkeit Expertinnen und Experten zu ihrer Arbeit und zu unserem Projekt zu befragen. Hier ein paar Impressionen.
Saul Judd, Filmkurator (Lichter Filmfest Frankfurt), erklärte uns, prinzipiell könne jeder Mensch lernen, eine Filmkuratorin zu werden, jedoch führe dieser Weg über ein mehrjähriges geisteswissenschaftliches Studium, in dem vor allem ästhetische Fragen behandelt werden. Er war aber der Meinung, es sei heutzutage die zentrale Herausforderung für die Filmkunst, marginalisierte Gruppen wie Flüchtlinge und Einwanderer in die Entscheidungen darüber, was Kunst ist, einzubinden. Die große Herausforderung bestehe dabei in der Heterogenität von Gruppen. Plakative Forderungen nach „mehr Demokratie“ reichten nicht aus, detaillierte Konzepte der Einbindung und Weiterbildung seien notwendig.
Ryan McRyhew und Milton Croissant, Audio und Visual Artists im Programm „sound//vision“ des IFFR und Gründer des Musik- und Kunst-Kollektivs „Rhinoceropolis“ in Denver, USA, ermutigten uns, für das was wir tun, den Begriff „DIY“ zu benutzen und uns auch in der Tradition dieser Bewegung zu begreifen. McRyhew, der in der Automobil-Stadt Chicago studiert hat, lieferte uns mit seinen Erzählungen von „DIY-Spaces“ und Kunstkollektiven in alten Kaufhäusern einen spannenden Ansatz für Kulturarbeit in Zeiten der ökonomischen Krise. Die Neoliberalisierung der Automobil-Industrie, die in Emden mit der VW-Krise jetzt erst ankommt, ist in den USA schon lange spürbar. Dort, wo staatliche Kunstförderung praktisch nicht existieren kann, seien neue, innovative Projekte immer nur aus der Do-It-Yourself-Bewegung heraus entstanden, berichteten McRyhew und Croissant.
Hayet Benkara, Film Consultant mit Schwerpunkt Audience Development beim IFFR, beschrieb uns die heutige Filmlandschaft als eine Situation in der FilmemacherInnen und Produzenten völlig Losgelöst vom Publikum arbeiten. Nach der Festivalauswertung, die für viele Filme ohne Verleih endet, stelle sich vielen KünstlerInnen die Frage, wie ihre Arbeit ihr Publikum finden kann. Das Audience Development habe es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen wieder miteinander über die Filme ins Gespräch zu bringen. Die Arbeit unserer AG Film bewertete Benkara in diesem Kontext. Gruppen und Initiativen wie Apollunion e.V. seien Schnittstellen zwischen einer abgehobenen und vom Alltag losgelösten Branche und einem selbstbewussten und kulturaffinen Publikum. Sie ordnete uns aber auch dem Bereich der Filmbildung (in der Sprache der EU ‚film literacy‘) zu. Filmbildung verfolge einen emanzipativen Charakter. Dies sei sehr wichtig, um kulturfernen Gruppen einen Zugang zu Kunst zu ermöglichen. Aber, so fragten wir sie, geht es wirklich um etwas ‚Höheres‘, zu dem andere gebracht werden müssen? Oder muss der Berg vielleicht zum Propheten kommen? Um weder die Sprache der Märkte zu reproduzieren (audience development) noch die Bevormundung der Oberlehrer zu übernehmen (film literacy), einigten wir uns auf den Begriff ‚audience empowerment‘. Das ist vielleicht das englische Wort für das, was wir immer Selbstbildung nennen.