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Tiger Awards Competition for Short Films 1

Freitag, 16:45. Im Lantaren Venster beginnt endlich die Programmreihe, die uns viele schlaflose Nächte erwartungsvoller Vorfreude beschert hat: Es ist Zeit für den Ersten Teil der Tiger Awards Competition for Short Films.
79 minuten Material gezeigt in drei Filmen. Das Screening beginnt mit „Nhung lá thu Panduranga“, angekündigt als meditative Darstellung über die Omnipräsenz von Geschichte. Auf die Leinwand gebracht durch eine dokumentarisch anmutende, bildliche Beschreibung des Wandels Vietnams. Beispielsweise die der Konvertierung eines spirituellen Heiligtums der einheimischen Chams zu Vietnams erstem Atomkraftwerk.
Ein wichtiger Schritt progressiven Strukturwandels bei dem nicht alle Gewinnen. Im Stil einer Reportage zieht Regisseur Nguyen Trinh Thi ein bedrückendes Fazit aus der altbekannten Thematik von Traditionen vs. Fortschritt .

Etwas aufsehensheischender; Film nummer 2: Engram of Returning. Schöpfer Daïchi Saïto sitzt im Publikum.
Das als episches und metaphysisches Reiselogbuch angekündigte Werk schafft es nicht, alle Zuschauer 19 minuten lang im Saal zu halten. Die jedoch, die sitzen bleiben, erleben eine fantastische Traumreise unterlegt mit feinster Kakophonie eines Tenor Saxophons, dass auf eine Snaredrum bläst. Ein Flickerstreifen, zusammengestellt aus erworbenem Footage, repräsentiert Schlüsseljahre in Saïtos Leben. Ein Leben, in dem das Medium Film nicht immer im Zentrum stand und somit Einblicke gewährt in eine gefühlsvolle Welt von Erinnerungen. Chapeau Herr Saïto – das Publikum ist verstört. Zumindest Teile unserer Gruppe haben Sie begeistert!

Der dritte und letzte Akt der Vorführung brachte uns dann wieder in Einklang mit dem Rest des Publikums. Filmemacher Nazli Dincel sperrt auf ästhetischer 16mm-Rolle einen Dreiteiler der so manchen Konservativen aufstoßen könnte. In dem Stück, das den tiefsinnigen Namen Solitary Acts trägt flimmernd Sätze wie: „She was 9, 10, 11, 12, 13 – she lost her virginity through a carrot – and afterwards she ate it – and herself.“ Als bildliche Hintermalung ist eine Hand zu sehen, die zu brüchig goldlackierten Fingernägeln gehört und die anwesenden Zuschauern mastrubierend in Atem hält. Close up – lange, und gefühlt längere Minuten fokussiert auf ein erregtes weibliches Geschlechtsteil.

Szenenwechsel. Brüchig goldlakierte Fingernägel gehören nun zu einer männlichen Hand. Das erregte weibliche Geschlechtsteil wird abgelöst durch ein männliches. Zwischen erotischer Selbsterfahrung und Perversion: Vor uns spielt sich die mit den Mastrubierern dieser Welt solidarisierte Hinterfragung des Mediums Film ab. Mit Traditionen der Porno-Industrie wird genauso gebrochen wie mit der romantischen Vorstellung Rosamunde Pilchers. Erwachsenwerden ist nicht leicht. Unsere schemenhaft beschriebene Protagonisten erlebt nicht nur die Freuden von Gemüse, sondern auch eine Abtreibung resultierend aus einer gescheiterten Beziehung im Erwachsenenalter.

 

Das Licht geht an – wir sehen uns um. Tiger Awards Competition 1/6: Eine experementielle Achterbahnfahrt bei der nicht alle Fahrgäste das Ende erreicht haben. Input zu kontroversen Diskussionen. Zur Genüge.

 

Mehr zum Film solitary acts (Interview mit der Filmemacherin): https://iffr.com/en/professionals/blog/please-welcome-nazli-din%C3%A7el